Mein Hund geht fremd

Es war wieder so ein Morgen… Ich saß in meinem Büro an meinem Mac und arbeitete mich durch die unzählbaren Memos und Unterlagen, die meinen kleinen Schreibtisch bevölkerten. Die schöne Kirschholzplatte lugte nur noch an wenigen Stellen hervor und war dort meist auch mit Staub übersäht. Denn Putzen ging hier gar nicht – das wäre untragbar. Die Gefahr etwas durcheinander zu bringen, wo ich genau wusste, wo was lag – inakzeptabel.
So rauchte also nicht nur der heiße Kaffee in meiner schönen weißen Henkeltasse, sondern auch mein Kopf. Die Gedanken schwirrten nur so herum und ich versuchte gerade Prioritäten aufzustellen, was von allen Dingen die „gleich“ passieren mussten am wichtigsten war.

Da viel mein Blick durch das Fenster rechts neben mir. Ich blickte stumm in den Garten, streifte den grünen Rasen, der eigentlich noch heute gemäht werden musste, über die Blumenbeete, die mit Pflanzen blickdicht übersäht waren, wobei mehr als fünfzig Prozent davon sicher nur Unkraut war und mich auch noch daran erinnerte, wann ich das letzte Mal dort ausgemistet hatte. Warum wächst Unkraut eigentlich schneller als jede Zierpflanze, wo sie doch den gleichen Boden haben, die gleichen Nährstoffe…? Der Blick ging über die zarten rosa blühenden Rosen. Alleine beim Hinsehen hatte ich diesen wunderbaren Rosenduft in der Nase. Ich konnte die Dornen fast an den Fingerspitzen fühlen, wenn ich eine frisch abgeschnittene Rose zwischen Zeigefinger und Daumen meiner rechten Hand hielt.

Und dann kam der Moment, den ich mir eigentlich lieber erspart hätte… Ich sah meine Nachbarin, freizeitlässig gekleidet und ungeschminkt, wie sie sich liebevoll mit einem Hund beschäftigte. Eine etwa achtzehn Kilogramm leichte mittelgroße Hündin mit schwarzem Deckhaar, hellbraunen Innenflanken, weiß gezeichneten Beinchen und Pfoten, wobei einige nur wie zufällig eingetunkt in Farbe aussahen, braunen Mimikflecken über ihren dunkelbraunen Augen, die schon mit soviel grauen Haaren umrandet waren, dass es aussah, als ob sie eine Brille trüge.
Woher ich sie so gut kenne? Es ist meine Hündin.

Ein Stich durchfuhr mich und meine Konzentration war dahin. Der Gedankenfaden gerissen, die Motivation, die eben noch in der Luft hing, weg. Sie hatte Platz gemacht für dieses Gefühl der Unfähigkeit, dem Gedanken, warum das Leben so hart und ungerecht an manchen Tagen ist und der Frage, warum man sich einen Hund anschafft, wenn man keine Zeit hat und um Leben zu können arbeiten muss.

Ich wurde traurig. Ich hatte mir damals, als dieser Hund in mein Leben und das meiner Familie getreten ist, extra Urlaub genommen um sie ankommen zu sehen. Die ersten Wochen haben wir rund um die Uhr über sie gewacht, sie nach jedem Essen, Schlafen, Spielen in den Garten getragen zum Pippimachen, sie gegen große Hunde verteidigt – ich erinnere mich besonders an diese weißen Dogo Agentino, der nicht nur sie zum fürchten brachte.. – ihr beim Schlafen zugesehen, wenn sich ihr kleiner Bauch aufblähte um der Luft platz zu machen, sie schnaufte und strampelte vor Glück in ihren Träumen. Die Zeit war so schnell verflogen, die Jahre an ihr vorbeigezogen und hatten dort ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur bei ihr, selbstverständlich auch bei mir und meiner Familie. Sie ist unser Sonnenschein. Trotzdem die Kinder schon längst volljährig sind und ihre eigenen Wege gehen, ist sie der glücklichste Hund der Welt, wenn alle wieder zu Hause sind. Sie schläft sich dann von Bett zu Bett – immer nur kurz, damit es keiner sieht – und fällt dann in tiefste Entspannung wenn die Familie komplett ist.

Und an den Tagen, an denen ich soviel Arbeit und sowenig Zeit für sie habe, hat sich unsere tierliebe Nachbarin angeboten, sich ein paar Stunden liebevoll um sie zu kümmern.
Vielleicht hätte ich damals sagen sollen, dass sie bloß nicht nett zu ihr sein soll. Ihr um Gottes Willen nichts zu fressen geben oder sie bürsten soll und schon gar nicht anfassen… Und vor allem sollte sie nie nie nie dem stillen und unwiderstehlichen Blick aus diesen tiefbraunen Augen nachgeben, wenn sie selbst was isst und der Hund neben ihr sitzt, sie sozusagen mit einem unsagbar mitleidvollem Blick hypnotisiert der sagt: nie bekomme ich was zu essen…
Aber auch das hätte sicher nicht geholfen. Denn so, wie sie diese gerade anhimmelt, an ihren Lippen und Bewegungen hängt, könnte auch ein Stück Käse nur für einen Bruchteil diese Zuneigung unterbrechen.

Mein Hund geht fremd

Tief im Innersten weiß ich es schon längst.. man merkt es an so vielen Kleinigkeiten: Mein Hund geht fremd.
Wenn die Nachbarin klingelt um ein für mich angenommenes Paket abzuliefern. Da stürmt mein Hund direkt und ohne ihre sonst so lautstarke Masche zur Tür, fängt wild an zu wedeln mit ihrem kompletten Hinterteil und spricht… Jawohl! Es gibt Hunderassen, die eine eigene Sprache entwickelt haben. In den Ohren eines Nichthundemenschen klingt das vielleicht wie jajajaja, aber in meinen Ohren ist das Musik, bringt mich zum dahin schmelzen, wenn sie mir kurz erzählt, wie so ihr Tag war und was passiert ist.

Also die Nachbarin tritt ins Haus ein um das Paket zu übergeben und da kommt sie.. schmeißt sich an sie, drückt sich an ihre Beine, fordert sie mit Blicken auf sie zu streicheln. Dabei kann es ihr gar nicht eng genug zugehen! Ist sie sonst ein Fräulein „Rühr-mich-nicht-an“, zeigt sie hier ihre andere Seite nach dem Motto „gibs mir!“ Fast schon peinlich, wie mein Hund sich da anbiedert und ich… ja ich bin eifersüchtig.

Ich denke mir: was hat die, was ich nicht habe?

Also versuche ich die Nachbarin in ein ungünstiges Licht zu tauchen um mich besser zu fühlen. Ich höre mich dann sagen: „Das macht sie immer mit Fremden. Das ist reines Kontrollverhalten und hat nichts mit Zuneigung zu tun. Hunde kennen keine Liebe – sie machen alles nur zu ihrem eigenen Vorteil und der scheint offensichtlich jetzt gerade in Streicheleinheiten und kompletter Aufmerksamkeit zu gipfeln“. Das höre ich mich verbissen sagen und denke gleich: hoppla! Mein Hund indess hört überhaupt nicht auf die Nachbarin zu belagern. Das Paket ist längst abgestellt und sie hat sich auf den Boden zum Hund gehockt um sie zu streicheln, zu knuddeln und bekommt dafür sogar noch einen Knutschi von meinem Hund! In diesem Moment höre ich mich sagen: „ja – sie küsst gerne, besonders wenn sie sich vorher so richtig ausgiebig das Hinterteil geputzt hat…“ Schadenfreude schwingt in meiner Stimme mit und ich sehe mit Freude, wie sich das Gesicht meiner Nachbarin vor Ekel verzieht als sie erwidert: „Na danke, das brauch ich jetzt auch nicht.“ Aber ich habe mich zu früh gefreut. Die Nachbarin erhebt sich und macht sich bereit zum Rückzug. Sie lächelt noch einmal meinen Hund an, wendet sich dann mir zu, und ich fast das Gefühl habe, dass sie dabei ihr Gesicht angeekelt verzieht, wobei doch mein Hund und nicht ich sie abgeschlabbert hab, und will sich verabschieden. Ich nutze die Gelegenheit um sie schnell wieder abzuschieben und bedanke mich schon überschwänglich, laufe zur Tür um ihr diese zu öffnen und gleichzeitig meinen Hund zu blocken, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommt ihr hinterher zu laufen. Noch ein letzter Blick von meiner Nachbarin in Richtung meinem Hund und sie dreht sich elegant in Richtung Ausgang um ihres Weges zu ziehen. Aber anstatt das mein Hund versteht, das dies nur die Nachbarin ist und ich ihr Frauchen jetzt für sie ganz Ohr bin, traue ich meinen Augen nicht als mein Hund der Nachbarin hinterherläuft um mit ihr zu gehen. Ich fasse es nicht. „Verrat“ schreit es in mir! Ich überlege gerade, ob es noch zeitgemäß ist, vergiftete rote Äpfel an zu nette Nachbarinnen zu verschenken, als mein Hund wedelnd wie angewurzelt auf der Fußmatte vor der Haustür stehen bleibt und ihr hinterher schaut. Ich halte immer noch die Tür fest, damit ich nicht aus Versehen irgendetwas Dummes tue, und sehe dann, wie mein Goldstück ihr Köpfchen in meine Richtung dreht um über ihre Schulter mir mit ihren treuen braunen Augen eine triumphierenden Blick zu zuwerfen der soviel heißen soll wie: „hab sie verscheucht, die kommt heute nicht mehr“. Dann dreht sie sich um, trottet an mir vorbei ins Haus hinein während ich langsam die Haustür hinter ihr schließe, und mein Blick folgt ihr in die Küche. Natürlich gehe auch ich dorthin. Drücke auf die Kaffeemaschine und genieße das Geräusch und den Geruch der frisch gemahlenen Kaffeebohnen, sehe wie die Crema in meine Tasse läuft, die ich mir grad aus dem Regal neben dran genommen habe und sehe aus dem Augenwinkel, wie sich mein Hund in Position bringt für sein obligatorische Kaffeeleckerchen, das immer abfällt, wenn die Kaffeemaschine läuft.

Ich frage mich, ob meine Nachbarin nicht auch dieses Gefühl von Eifersucht hätte, wenn sie mich mit meinem Hund so vertraut sehen könnte.Ich habe sie Tag und Nacht für mich und um mich herum, selbst wenn ich arbeite und keine Zeit habe, schläft sie hinter mir auf der Couch und ist glücklich und zufrieden, wenn sie sicher und friedvoll schlafen kann. Da werde ich diese kurzen Augenblicke, in denen mein Hund mal fremdgeht auch noch ertragen können, wohl wissend, dass sie nichts und niemanden mehr liebt als mich 🙂