Körperstrafe in der Hundeerziehung wird leider noch häufig angewandt, ist aber nach neuesten Erkenntnissen überholt, ja sogar kontraproduktiv und ein absolutes NoGo. Warum das so ist und was die Alternative sein sollte, erklärt Dr. Antonia Hingerle, Tierärztin mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie im Interview.

Dr. Antonia Hingerle

Dr. Antonia Hingerle

Was ist als Hundetrainerin UND Tierärztin Ihre persönliche Ansicht zu Körperstrafe in der Hundeerziehung ?

Dr. Antonia Hingerle: Gewalt an Hunden ist nie gerechtfertigt. Durch klare Regeln und Grenzen, sind auch schwierige Fälle händelbar. Schläge oder andere grobe Erziehungsmethoden führen zu keinem positiven Resultat. Im besten Fall wird das ungewollte Verhalten abgebrochen aber dauerhaft führt dies nicht zu einer Lösung. Aggressionsverhalten sollte niemals mit Aggression therapiert werden. Bei angstaggressiven Tieren führen Schmerzen zu noch größerer Angst und bei offensiv aggressiven wird das Aggressionsverhalten zukünftig noch gesteigert ausfallen. Gewalt ist also ein „No Go“ in der Hundeerziehung.
Man sollte immer das natürliche Rudelverhalten im Auge behalten. Hunde gehen größtenteils gewaltfrei miteinander um und die Rangordnung wird ausschließlich durch Körpersprache und Unterwerfung bestimmt. Normal sozialisierte Hunde vermeiden Verletzungen und Schmerzen. Sie können klare Grenzen, die ohne Gewalt gesetzt werden, besser verstehen und auch akzeptieren.

Ein Rempler, ein Leinenruck, ein Schlag oder gar ein Tritt – wo fängt Gewalt bzw. Körperstrafe in der Hundeerziehung Ihrer Meinung nach an?

Dr. Antonia Hingerle: Auch in unseren Augen „kleine Rempler“ können für sensible Hunde schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen zur Folge haben. Es wird viel zu schnell mit solchen Erziehungsmethoden begonnen, da sie vermeintlich sofort zu einer Lösung führen. Natürlich zieht ein Hund nach einem harten Ruck an der Leine sofort weniger, da dies sehr unangenehm ist. Abgesehen von den psychischen Verletzungen, können aber auch physische Beeinträchtigungen problematisch sein (Kehlkopfentzündungen etc.).
Regeln auf zu stellen die besagen: „Ein kleiner Ruck ist nicht so schlimm, aber ein Tritt schon“, macht keinen Sinn. Denn jedes Tier ist ein Individuum und somit auch einzeln zu betrachten. Schon aus diesem Grund sollte jegliche Gewalt tabu sein.

Warum genau ist nach den modernen Lehrmethoden Körperstrafe abzulehnen?

Dr. Antonia Hingerle: Körperstrafe ist abzulehnen, da wissenschaftlich bewiesen wurde, dass man Hunde deutlich besser in ihre Schranken weist, in dem man Ihnen beispielsweise Aufmerksam entzieht. Bestrafung darf sein, aber ohne Gewalt sondern durch klare Handlungen. Benimmt sich ein Hund daneben, reicht es in den meisten Fällen völlig aus, ihm erst einmal für längere Zeit die kalte Schulter zu zeigen. Auch Anleinen wäre eine Möglichkeit. Indem man dem Tier bei Fehlverhalten den richtigen Weg aufzeigt und es dann für korrektes Verhalten positiv bestärkt, lenkt man das unerwünschte Verhalten in die gewünschte Richtung. Eine Mensch-Tier-Beziehung die auf Angst beruht kann niemals gut sein! Eine freundschaftliche Beziehung zwischen Hund und Halter ist von großer Bedeutung. Nicht zuletzt, weil jeder Hund besser und schneller lernt, wenn das Verhältnis zum Halter auf Vertrauen beruht und nicht auf Angst.

Hunde scheinen untereinander häufig nicht zimperlich – das nehmen viele als Argument pro Körperstrafe. Ist da etwas dran? Wie stehen Sie dazu?

Dr. Antonia Hingerle: Hunde zeigen sich deutlich wo untereinander ihre Grenzen liegen. Von außen betrachtet könnte man dies als “nicht zimperlich” bezeichnen. Man vergisst dabei aber, dass die Auseinandersetzungen meist ohne Schmerzen oder Verletzungen einhergehen. Fast immer werden diese durch Laute und Scheinkämpfe ausgetragen, die harmlos und schmerzfrei sind. In unseren Augen können sie aber durchaus sehr brutal erscheinen. Durch Unterwerfung und ein geregeltes Sozialverhalten wird in einem intakten Rudel der Ernstkampf ganz bewusst vermieden!

Etwa 35% aller Hundetrainer lehnten bisher körperliche Sanktionen NICHT ab. Wie kommt das und wird sich das ihrer Ansicht nach durch die Gesetzesneuerung (TSchG § 11) ändern?

Dr. Antonia Hingerle: Das Hauptproblem ist, dass körperliche Strafen oft kurzfristig und deutlicher eine Wirkung zeigen als sanftere Methoden. Mangels ausreichender Erfahrung werden dann diese Strafmaßnahmen gerne angewendet. Im ersten Moment stellen sie den Hundehalter also auch zufrieden. Durch die Gesetzesänderung wird ein Umdenken dringend erforderlich sein, weil nochmals deutlicher die Grenzen der Hundeerziehung aufgezeigt werden.

Gibt es bestimmte Hunde-Individuen oder Situationen, wo kontrolliert angewandte Formen der körperlichen Sanktionen vielleicht doch sinnvoll oder gar notwendig sind und möchte es nur keiner laut sagen?

Dr. Antonia Hingerle: Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Man kann nicht sagen das bestimmte Hunde körperliche Strafen nötig haben oder es in bestimmten Situationen keinen anderen Ausweg gibt. Es gibt immer eine bessere Alternative! Verhaltensproblemen mit der Anwendung von Gewalt zu begegnen ist keine Lösung!

Koerperstrafe-Hunderziehung

Inwieweit zählt Ihrer Ansicht nach der Einsatz von “Hilfsmitteln” wie “Spray-Halsbändern” (AntiBark) oder Würgehalsbänder zur gewaltsamen Erziehung?

Dr. Antonia Hingerle: Alle Hilfsmittel sollten dringend von erfahrenen Hundetrainern angewandt bzw. dem Hundehalter näher gebracht werden. Das Problem liegt meist an der falschen Anwendung. Bei Spray-Halsbändern beispielsweise kann ein falsches Auslösen sensible Hunde extrem und manchmal dauerhaft verstören. Auch Würgehalsbänder sind äußerst bedenklich, denn es wird mit der Atemnot gearbeitet und dies zählt wiederum deutlich zu einem Leid und einer sehr unangenehmen Situation für den Vierbeiner. Man bedenke hier wiederum den Gesetzesbruch nach §1 des Tierschutzgesetzes!

Was möchten Sie abschließend Hundetrainern mit auf den Weg geben, die bisher auch mit Körperstrafe gearbeitet haben?

Hundetrainern, die veraltete Methoden anwenden rate ich, sich nochmals über weitere Maßnahmen kundig zu machen. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten Hunde zu bestrafen, auch ohne ihnen Schmerzen, Leiden oder Schäden (auch psychische) zu zufügen. Ich möchte diesen Hundetrainern nochmals zu bedenken geben, wie sensibel Hunde sein können und das sie sich nur einmal in die Lage des Tieres hinein versetzen sollten. Zudem schadet Weiterbildung nie und in der Verhaltensforschung ist man in den letzten Jahren zu zahlreichen neuen Erkenntnissen gekommen die aufzeigen, dass eine gewaltfreie Erziehung jeder schmerzhaften Maßregelung vorzuziehen ist!